Der Tag der Wasser (und Schnee-)fälle
Hui - das war eine kurze Nacht. Punkt sieben saßen wir schon wieder zusammen beim Frühstück. Da mein Workshop dieses Jahr einen ganzen Monat später stattfindet wird es fast eine Stunde früher hell und unser erster Programmpunkt, Gewächshäuser in der blauen Stunde, in Hveragerði, mussten also auch nach vorn verlegt werden. Unsere Workshopteilnehmer standen superpünklich zur Abfahrt bereit und nach dem üblichen Tetris im Kofferraum (unsere Taschen unten, Hartschalenkoffer stehend gepuzzelt, Fotorucksäcke und Stative schonend oben sortiert und die Lebensmittelkiste - oh Mist...). In der Nacht ist es deutlich kälter geworden und es hatte geschneit.
Auf der Strecke war auch keineswegs angenehmes Fahren, denn aus dem schönen sonnigen Wetter der letzten Tage wurde heute ein böiger Wind, der Schneeschwaden über die ohnehin schon kaum erkennbare Straße trieb. Trotzdem gelangten wir wohlbehalten bei unseren Gewächshäusern an. Da heute Sonntag war, konnten wir uns allerdings nicht wie in den letzten Jahren telefonisch anmelden und so schlichen wir uns etwas verhalten auf das Gelände der dortigen Fachhochschule für Landschaftsbau. Jörg hatte sicherheitshalber einen Sixpack Bier unter den Pulli geklemmt, um eventuell aufgebrachte Gewächshausmitarbeiter zu besänftigen. Tatsächlich brauchten wir das nicht, denn wir waren völlig allein. Unsere Teilnehmer waren allerdings etwas irritiert. Verlassene Glashäuser, verfallene Wirtschaftsgebäude und ein bisschen orangenes Licht entsprach wohl nicht ihren Erwartungen von Islandfeeling. Doch nach einiger Zeit, entstand die von mir gewünschte Eigendynamik, das Eindenken in die Szenerie und das kreative Spiel mit den Gegebenheiten. So wurde jeder schnell gezwungen, seine Komfortzone zu verlassen - denn ein spektakuläres Naturschauspiel wie einen Wasserfall kann jeder leicht fotografieren - das Foto lebt durch das Dargestelle. Aber kreativer Bildaufbau macht ein interessantes Motiv und die Aufnahme spannend für den Betrachter. Ob Eiszapfen an einer Glasscheibe, die Spiegelung der Landschaft in einem der Fenster oder einfach eine verschneite Leiter auf einem Gewächshaus, unsere Fotografen wurden richtig kreativ. In den nächsten Tagen versuche ich an dieser Stelle noch einige Fotos von unseren Teilnehmers hinzuzufügen, um die entstandene Vielfalt zu demonstrieren.
Nach einem kurzen, leckeren Lava-Brot-Stopp ging es endlich die Südküste entlang. Gleißend helles Licht leuchtete uns den Weg und wir hielten Ausschau nach Islandpferden. Ich nutzte direkt die Gelegenheit um meinen Teilnehmern die Besonderheiten der verschiedenen Lichtrichtungen zu erklären. Gegenlicht, Seitenlicht usw. Zusammen wogen wir Vorteile und Nachteile ab und die Teilnehmer mussten an Beispielszenarien die Vorgehensweise in der Theorie üben. Immer wieder fing es an zu schneien und die tief hängenden Schneewolken, färbten den Himmel teilweise dramatisch blaugrau oder verstärkten die schwierigste Lichtrichtung des Gegenlichts noch mit farblosem Weiß. Auch da nutzen wir die Zeit und übten den High-Key-Effekt mit weiß in weißen Landschaftsfotos. Dafür nutzten wir die Berglinie des berühmten Vulkans Eyafjallajökull.
Schon bald ging es zum ersten Wasserfall Urriðafoss und alle versuchten sich in langen Belichtungszeiten und nutzen teilweise zum ersten Mal ihre neuen Grau- und Grauverlaufsfilter. Es ist für mich immer wieder interessant zu sehen, wie die Teilnehmer sich fotografisch entwickeln, mutiger fotografieren, eigene Kompositionen suchen und auch die neuen Hilfs-und Gestaltungsmittel immer schneller und zielgerichteter benutzen können. Nachdem der erste Wasserfall im Kasten war, ging es direkt weiter mit dem zweiten, dem Seljalandfoss. Wieder einmal mussten wir mit vielen Touristen klarkommen und auch mit den besonderen Gegebenheiten vor Ort. Im Sommer kann man hinter dem Wasserfall das Becken umrunden, im Winter ist es trotz Spikes an den Füßen kaum möglich die vereisten Treppen zu betreten. Jedes Jahr wird der Wasserfall ein Stück mehr abgesperrt und unzugänglicher.
Schade, aber auch verständlich, wenn man den Leichtsinnigen und Verrückten zusieht, wie sie für ein gutes " Instagram Foto" die Vorsicht außer Acht lassen und sich in Gefahr bringen. Da schaut man dann auch mal gespannt hin und unterbricht das Fotografieren, wenn eine Touristin, ohne Spikes, die abgesperrte Eistreppe zu besteigen versucht um dann gleich auf der ersten Stufe auszurutschen und rückwärts hinzufallen. Schmerzvoll wälzt sie sich am Boden. Was hat sie bloß erwartet hat? Es ist abgesperrt. Noch interessanter wird das Schauspiel in der Ferne allerdings, wenn es die gleiche Frau auf der gegenüberligenden Treppe ein paar Minuten später gleich nochmal probiert..... Jetzt die spannende Frage !!! Schafft sie es diesmal? Neeeeeiiiiiin, natürlich nicht. Täglich grüßt das Murmeltier. Sie klettert über die Absperrung, betritt die erste Stufe ohne Spikes uuuuuund zack, rutscht sie aus und liegt wieder rückwärts am Boden. Wir können nur den Kopf schütteln und ich kann mir eine Bemerkung an der Stelle kaum verkneifen. " Es handelte sich dabei sicher um ein Fan des Disneyfilms " Frozen " und sie dachte sie könnte wie Eisprinzessin Elsa mit Leichtigkeit den steilen Aufstieg über die Treppe in de Eispalast nehmen. Wahrscheinlich hat sie innerlich noch gesungen: "Let it got, let it go.....".
Jedoch verschwindet die Touristenbühne und der Wasserfall bald hinter einem dichten Schneevorhang aus kleinen dicken Schneekügelchen. Keine sanften Flocken, wie wir sie kennen, auch keine Hagelkörner, wie wir sie leider auch kennen. Nein, es ist eine ganz andere Art, eben Islandschnee:-) Es kommt viel runter. Wir machen die letzten Aufnahmen und lassen die Kamera mit kurzen Belichtungzeiten schnell hintereinander die weißen Kugeln einfrieren und auf dem Foto festhalten. Was für ein Erlebnis. Innerlich wird es mir ganz warm ums Herz. Dass ist für mich Island im Winter, diese Glücksmomente, diese kurzen Augenblicke, an denen sich ein unbezahlbarer Moment zeigt um wenige Minuten später vorbei zu sein. Zugreifen, ausharren oder fluchtartig das Feld verlassen, alles ist möglich und jeder muss diese Entscheidung für sich selbst treffen. Dieses Jahr sind alle mutig! Sie bleiben, genießen das Schauspiel, trauen der guten Technik und sicher auch mir, und belichten weiter, auch wenn schon dick der Schnee über dem Objektiv hängt. Es entstehen auch da immer wieder Motive, die es sonst so nicht geben würde und das macht es aus.
Direkt am Wasserfall öffnen wir noch unser Busbistro und erwärmen uns an warmer Nudelsuppe, heißem Kaffe und Tee und naschen Knackwürstchen und Käsebrote mit Tomate und Gurke. So langsam tauen alle Gliedmaßen wieder auf und die Kameras werden liebevoll von allen mit den mitgebrachten Küchenhandüchern vorsichtig abgewischt und eingewickelt. Es wird sicher nicht das letzte Schnee- und Wassererlebnis beleiben.
Weiter geht es zu den Pferden. Zuverlässig stehen sie auf " unserer" Koppel wie jedes Jahr. Diesmal sind wir etwas später dran als sonst und die Tiere wurden schon gefüttert. Sie stehen alle mit dem Kopf zur Mitte im Kreis und mampfen genüsslich schön und frisch duftendes Heu. Man hört sie deutlich kauen und sonst nichts. Schön! Alle Farbschattierungen, von weiß, beige, braun, grau, schwarz, gemustert, gesprenkelt, gesträhnt und gemischt, stehen vor uns und strecken uns den Po entgegen. Hihi. Aber fotografisch problematisch, denn man hätte schon gerne Augen und Kopf im Fokus und nicht das Hinterteil. Am Abend beweist uns aber Elena, dass man aus dieser Situation heraus, dennoch bemerkenswerte Motive finden kann. In den nächsten Tagen seht ihr dazu mehr.
Rainer ging ganz gelassen zwischen die Tiere, die ihm auch folgerichtig einen Platz an der Futterstelle freimachten. Wir nutzten natürlich diese Lücke (zum Fotografieren selbstverständlich!) und konnten nun die malerischen Mähnen ins Visier nehmen.
Am späten Nachmittag erreichten wir dann den imposanten Skógafoss, dessen Wasserkaskade etwa 60 Meter tief auf den Boden fällt. Da wir heute an diesem Ort auch schlafen, konnten sich Carola und Doris schonmal im Hotel frisch machen, während unsere anderen beiden Teilnehmer so richtig in Fotolaune waren und trotz widriger Bedingungen ihre Kameras herausforderten.
Nach einem leckeren Abendessen setzten wir uns gemeinsam zu einer ersten Bildbesprechung zusammen. Ich war gespannt, was unsere Teilnehmer heute so alles fotografiert hatten und war richtig begeistert. Da ich mir immer möglichst unbearbeitete Bildserien zeigen lassen, konnte man deutlich erkennen, wie sich die einzelnen Teilnehmer manchmal an das Motiv herangearbeitet hattten.
Vor allem beim sehr breiten und unruhigem Urriðafoss war das deutlich zu sehen. Bei solchen Motiven, deren Abwechslungsreichtum den Betrachter überfordern, hilft es durch Beschränkung auf wenige Details, Ruhe ins Bild zu bringen und das ist den Meisten richtig gut gelungen.
Derek
Freitag, 04 Mai 2018 23:47
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